Der müde Herakles
Boston Museum of Fine Arts - USA
Kontakt
Eine ungewöhnliche Geschichte verbirgt sich hinter einer zerbrochenen „Weary Herakles“-Statue aus Marmor, deren Ober- und Unterteil sich über Jahrzehnte in geographisch entgegensetzten Regionen der Welt befanden. Inhalt eines dreidimensionalen Scanprojekts im Jahr 2005 war die Erfassung dieser beiden Teile mit dem Ziel der digitalen Zusammenführung.
Zielsetzung und Messobjekt
Die ursprünglich überlebensgroße Bronzestatue des griechischen Halbgottes Herakles wurde um 330 - 320 v. Chr. von dem griechischen Meister Lysippos von Sikyon geschaffen. Ihrer ungewöhnlichen Körperhaltung verdankt die Figur den Namen „Müder Herakles“. Die beiden Teile der marmornen Nachbildung der Statue wurden in geographisch unterschiedlichen Regionen der Welt gefunden. Zeit und genaue Umstände der Beschädigung sind bis heute nicht geklärt.
Die obere Hälfte der Statue erwarb das Boston Museum of Fine Arts (USA) im Jahr 1981, während die untere Hälfte dem Archäologischen Museum Antalya (Türkei) gehört. Das Scanprojekt setzte sich zum Ziel, die beiden Teile der Statue dreidimensional zu erfassen und digital zusammen zu führen. Somit hätte die vollständige Statue zumindest zur virtuellen Betrachtung und Analyse zur Verfügung gestanden. Leider verwehrte das Boston Museum zum damaligen Zeitpunkt den Zugang zur Digitalisierung des oberen Teils. Der untere Teil wurde dank Unterstützung des Antalya Museums sowie der türkischen Behörden vollständig digitalisiert.
Durchgeführt wurde das Projekt von AICONs türkischem Vertriebspartner Info(+)TRON in Zusammenarbeit mit der Photogrammetrie-Abteilung der Technischen Universität Yildiz (Türkei), dem Institut „Photogrammetrie und Fernerkundung“ der ETH Zürich (Schweiz) sowie der Firma Breuckmann.
Messystem und Aufbau
Die 3D Digitalisierung des unteren Statuenteils wurde im September 2005 im Archäologischen Museum Antalya durchgeführt. Für alle Scanaufnahmen kam ein Vorgängermodell des AICON SmartScan zum Einsatz. Das System ist speziell für die hohen Ansprüche bei der 3D Datenerfassung von Kunstgegenständen und Kulturgütern konzipiert, da es nicht nur hochauflösende, präzise 3D Modelle erzeugt, sondern auch die Erfassung der Objektoberflächentextur mit Echtfarben erlaubt.
Der AICON Scanner besteht aus einer auf einem Stativ montierten Basis mit Projektor und Farbbildkamera (hier: 1,4 Megapixel), Kalibrierplatte und Steuergerät. Aus den flexibel einstellbaren Messfeldern des Systems wurde für die Projektarbeit ein Messfeld von 489 x 360 mm gewählt, wodurch sich eine laterale Auflösung von etwa 360 µm und eine Tiefen-Auflösung von ungefähr 20 µm ergaben.
Arbeitsablauf
Die Ausrichtung des Scanners sowie die Planung der Scan-Überlagerung erforderten eine sorgfältige Vorbereitung der Statue, die zahlreiche gewölbte und verdeckte Teile aufweist. Zur Digitalisierung des unteren Teils des „Weary Herakles“ (Höhe ca. 1,10 m) wurden im Verlauf von eineinhalb Arbeitstagen insgesamt 60 Scans angefertigt (83,75 Millionen Punkte mit einem Rasterabstand von 0,5 mm).
Anschließend wurden die Einzelaufnahmen mit der AICON Software OptoCat zusammengeführt und nachbearbeitet. OptoCat bietet zahlreiche leistungsstarke Nachbearbeitungsmöglichkeiten, wie z. B. zur Erzeugung eines kombinierten Polygonnetzes aus Einzelscans (Merging), Berechnung von Querschnitten, Datenreduktion bzw. -komprimierung, zur Filterung und zum Befüllen von Lücken oder zum Anbringen von Texturinformationen durch separat aufgenommene Bilder. Die aufgenommenen 3D Daten werden in schattierter Form visualisiert (optional mit überlappender Textur oder Farbinformation) und in Standard-Dateiformaten wie STL oder PLY abgespeichert. Mit dem „Texture Mapping“-Modul von OptoCat lassen sich auch Geometrie- und Bilddaten zusammen im OBJ-Format ablegen.
Ergebnis
Die 3D Dokumentation von Kulturerbe gewinnt zunehmend an Bedeutung. Hier ermöglichen die 3D Scanner von AICON eine berührungslose, hochgenaue Erfassung, die sich auch für empfindliche Objekte eignet. Auch im Fall von Fundstücken, die in einer Klimakammer aufbewahrt werden, ermöglichen die präzisen 3D Scandaten umfassende wissenschaftliche Untersuchungen bei gleichzeitiger Schonung des Originals.
Die Verarbeitungsergebnisse mit einem Genauigkeitsgrad von ca. 50 µm entsprachen vollkommen den Anforderungen an die Systemleistung. Verschiedene Softwarepakete, von denen jedes seine eigenen Funktionen und Vorteile bietet, wurden zur Durchführung der Modellierungsschritte verwendet.
Die 3D Digitalisierung des unteren Teils der Statue eröffnet Wissenschaftlern die Möglichkeit, das Objekt in all seinen Strukturen und Besonderheiten zu untersuchen und zu dokumentieren, ohne dass der Zugriff auf das Original benötigt wird.
Nachdem im Jahr 2011 die beiden realen Statuenhälften wieder zusammengeführt wurden, sollen Mittel gesammelt werden, um den „Weary Herakles“ im Rahmen eines ergänzenden 3D Scanprojekts auch digital zu vervollständigen.
Unser besonderer Dank geht an Prof. Dr. Orhan Altan für seine Unterstützung in der Anfangsphase des Projekts. Des Weiteren bedanken wir uns beim Archäologischen Museum in Antalya für die Erlaubnis und freundliche Unterstützung beim Scan der ausgestellten Statuenhälfte sowie dem Labor für optische Datenverarbeitung ISTI-CNR für die Bereitstellung ihrer Weaver-Software für das Texture Mapping.