Die Bedeutung des Messtechnik bei der Nutzung von Sonnenenergie
Interview mit Dave Wilson, Leiter der Messtechnik-Gruppe des ITER
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Kürzlich sprachen wir mit Dave Wilson, dem Leiter der Messtechnik-Gruppe des ITER, darüber, wie sein Team die Messlösungen von Hexagon nutzt, um die präzise Konstruktion einer der weltweit spannendsten Energie-Forschungsprojekte sicherzustellen.
Vielen Dank für diese Gelegenheit, Dave. Was ist ITER eigentlich?
ITER wurde im südfranzösischen Saint Paul Lez Durance errichtet, um die Eignung der Kernfusion als Energiequelle zu testen und nachzuweisen. Die Kernfusion ist der Prozess, der in allen Sternen des Sonnensystems abläuft, und in dessen Verlauf Wasserstoffisotope verschmelzen und Energie erzeugen.
Wir versuchen also hier auf der Erde einen Mini-Stern zu erschaffen. Die ITER-Maschine funktioniert im Wesentlichen so wie ein Stern. Die Fusionsreaktion läuft genau wie im Weltall in einem Vakuum ab. Wir verfügen über eine Vakuumkammer, in die wir einen Wasserstoff-Brennstoff aus Deuterium und Tritium einspritzen. Diese Stoffe werden zu Helium verschmolzen, wobei eine immense Menge an Energie generiert wird.
In der Sonne herrscht ein extremer durch Anziehungskraft erzeugter Druck. Da wir einen derartigen Druck nicht erzielen können, müssen wir die Temperatur erhöhen. Die Reaktionstemperatur bei ITER beträgt das Zehnfache der Temperatur in der Sonne. Die Sonne ist 15 Millionen Grad heiß; wir erreichen 150 Millionen Grad.
Das klingt gewaltig und das ist es tatsächlich auch. Es handelt sich um ein hocherhitztes Gas, das wir Plasma nennen. Dieses Plasma gilt es zu kontrollieren, denn natürlich wollen wir vermeiden, dass Komponenten in der ITER-Maschine mit einer so hohen Temperatur in Berührung kommen. Wir kontrollieren das Plasma, indem wir das Gas ionisieren und es dann mit extrem starken Magneten begrenzen, formen und da positionieren, wo es benötigt wird.
Bei ITER verfügen wir über besonders starke supraleitende Magneten, die das Kontrollieren des Plasmas ermöglichen. Wenn eine Reaktion stattfindet, werden immense Energiemengen abgegeben. Diese Energie wollen wir nutzen.
Wo kommt für ITER die Messtechnik zum Einsatz?
Diese Magneten müssen extrem präzise ausgerichtet sein, damit die Maschine entsprechend den gewünschten Spezifikationen funktioniert. Wir sprechen hier über 17 Meter hohe Magneten, die mit einer Toleranz von 1 Millimeter auszurichten sind. Um das zu erreichen, benötigen wir die bestmögliche Ausrüstung: Und hier kommt Hexagon ins Spiel.
Können Sie uns ein wenig über die Hexagon-Ausrüstung berichten, die bei ITER zum Einsatz kommt?
Im Jahr 2008 habe ich meine Arbeit am ITER aufgenommen; kurz nach dem Anlegen der 1 km langen Plattform, auf der die ITER-Gebäude und die Infrastruktur errichtet wurden. Als erstes mussten die Bezugssysteme für den Bau der Gebäude eingerichtet werden, die dann letztendlich in die Gebäude hinein übertragen wurden.
Unsere ersten Erfahrungen mit Hexagon-Produkten sammelten wir daher mit den hochpräzisen Total Stationen, die mithilfe ihrer hochpräzisen Drehgeber über eine Distanz von einigen Kilometern extrem genau messen. Das Netzwerk wurde mit diesen Geräten in Kombination mit GPS und digitaler Nivelliertechnik vermessen. All diese Daten wurden zu einem Netzwerk verknüpft, das über diesen riesigen Bereich hinweg eine Unsicherheit von unter zwei Millimetern aufweist.
Auf dieser Grundlage haben wir nun mit dem Bau der ITER-Maschine begonnen. Aufgrund unserer hohen Präzisionsanforderungen, benötigen wir auch die präziseste verfügbare Ausrüstung. Wir verwenden Laser Tracker – sowohl konventionelle Laser Tracker, die mit Reflektoren messen, als auch Laser Tracker mit neuester Technologie wie den ATS600, der ohne Messmarken misst.
Beim Messen mit Messmarken, muss der Reflektor positioniert, anvisiert und bei Umpositionierung des Messgeräts ebenfalls umpositioniert werden. Bei großen Komponenten ist dieser Prozess besonders zeitaufwändig. Mit dem direkt scannenden ATS600, der das direkte Messen einer Fläche ohne Reflektor gestattet, entfällt in vielen Fällen das Positionieren des Reflektors. Die Oberfläche lässt also direkt messen und das Ergebnis ist sofort verfügbar. Zudem lassen sich die Messungen besonders schnell durchführen, sodass die erstellte Punktwolke ein sehr großes Volumen repräsentiert, die Daten aber dennoch innerhalb angemessener Zeit vorliegen.
Ein angemessener Zeitrahmen ist wichtig, da wir Reverse-Engineering-Aufgaben und Konfliktanalysen durchführen müssen, um von Phase zu Phase entscheiden zu können, ob wir die Komponenten montieren können. Diese Komponenten sind besonders kostenintensiv. Oft sind sie mit empfindlichen Materialien beschichtet, beispielsweise das Hitzeschild. Es ist versilbert und wird von TF-Spulen umgeben sein. Daher müssen wir uns bei der Bestimmung der Spiralbahnen der Spulen absolut sicher sein, dass wir die Komponenten nahtlos montieren können, ohne etwas irgendetwas zu beschädigen.
Könnten Sie uns die unterschiedlichen Rollen und Aufgaben Ihres Qualitätsteams bei ITER etwas näher beschreiben?
Ich leite ein vierköpfiges Team und zusätzlich arbeiten wir auch mit Unterauftragnehmern zusammen, die uns bei unserer Arbeit unterstützen. Unsere Aufgaben sind recht vielfältig. Wir messen nicht nur; sondern wir sind ebenso verantwortlich für die Qualitätssicherung der gesamten Lieferkette und aller Auftragnehmer, die mit uns gemeinsam die Maschine aufbauen.
Ein großer Teil unserer Arbeit dreht sich darum, Verfahren für die Ausrichtung, die Inspektion und die Qualifizierung dieser Prozesse vorzuschlagen, Verfahren zu bewerten und abzunehmen, Lieferanten- und Kundendaten zu bewerten und abzunehmen, um das Qualitätsverständnis des ITER-Projekts zu festigen.
Seitdem vor 13 Jahren die Arbeiten hier bei ITER begannen, hat sich die Messtechnik ein großes Stück weiterentwickelt. Können Sie uns berichten, wie es war, als Sie begonnen haben und wie Sie mit den messtechnischen Entwicklungen bis heute Schritt gehalten haben?
Mit Messtechnik kam ich vor 25 Jahren zum ersten Mal in Berührung. Damals richteten wir alles mit Aufspannungen aus. Es wurde jedoch alsbald klar, dass die Ausrichtungsanforderungen immer genauer wurden und daher ein besseres System von Nöten war.
Das erste Hexagon-System waren Theodolite mit sich schneidenden Linien. Die Messungen entsprachen zwar den Toleranzen, nahmen jedoch sehr viel Zeit in Anspruch. Auch die Software war für heutige Ansprüche nicht ausgelegt.
Als ich bei ITER startete, nutzten wir Theodolite und GPS. Heute ist Präzision ein absolutes Erfordernis. Dasselbe gilt für die Erfassungsgeschwindigkeit und die Auslastung der Ausrüstung im Prozess. Für jede Branche gilt: Zeit ist Geld. Bei ITER spielt sie eine noch bedeutendere Rolle.
Darüber hinaus gilt es, Nichtkonformitäten bereits frühzeitig zu erkennen. Das ist kritisch. Denn je später im Konstruktionsprozess ein Problem erkannt wird, desto schwerer lässt es sich beheben. Die Abweichungen der Komponenten frühzeitig im Prozess zu erkennen und zu verstehen, ist ausgesprochen wichtig.
Wir bei ITER sind bemüht, uns den Prozess zu einem frühen Zeitpunkt zu betrachten, die verfügbaren Daten und implementierten Prozesse zu bewerten, Risiken einzuschätzen, und anhand all dieser Informationen einen risikoarmen und effizienten Prozess zu entwickeln, der die für uns und unsere Partner erforderlichen Ergebnisse liefert. Der Messtechnik kommt in diesem Prozess eine zentrale Rolle zu.