3D Daten der Linearschrift B-Tafeln aus dem Palast des Nestor
Palast des Nestor - Griechenland
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Als Verwaltungsdokumente der griechischen Bronzezeit gehören die Tafeln mit Linearschrift B aus dem Palast des Nestor (Pylos, Griechenland) vermutlich zur frühesten bekannten Form der griechischen Sprache. Ein zerstörerisches Feuer härtete diese Tontafeln zufällig gegen Ende der späten Bronzezeit, wodurch sie bis zu ihrer Entdeckung im frühen 19. Jahrhundert erhalten blieben. Dennoch befinden sich zahlreiche Keilschriften in einem bedenklichen Zustand – viele der gebrannten Tafeln sind zerbrochen oder zersplittert.
Zielsetzung und Messobjekt
Das Projekt zielt auf die Veröffentlichung der gesamten Sammlung der Linearschift B-Tafeln aus dem Palast des Nestor ab, wobei diese Aufstellung eine Vielzahl traditioneller und innovativer Untersuchungsmethoden wie Reflectance Transformation Imaging (RTI), Zeichnungen, Transkriptionen sowie das Erfassen mit einem Streifenlicht-Scanner abdecken soll. Ein 3D Objekt ermöglicht den Wissenschaftlern den Zugriff auf die Tafeln, ohne sie tatsächlich vor Ort verfügbar zu haben, was eine umfassendere Erhaltung der Originale ermöglicht. Zusätzlich können Wissenschaftler mit dem Forschungsschwerpunkt Linearschrift B auf der Grundlage dieser dreidimensionalen Bilder ihre eigenen Schlussfolgerungen ziehen. Sie sind nicht länger auf die Zeichnungen und Transliterationen früherer Forscher angewiesen.
Dieses 3D Scanprojekt ist eine Gemeinschaftsarbeit des Warren Lasch Conservation Centers an der Universität von Clemson und dem College von Charleston, geleitet von Kevin Pluta (Universität von Texas in Austin) und Dimitri Nakassis (Universität von Toronto). Der vorliegende Anwenderbericht wurde freundlicherweise von Jami Baxley (College von Charleston) und Ben Rennison (Warren Lasch Conservation Center, Universität von Clemson) unterstützt.
Messsystem und Aufbau
Für das Scannen im griechischen Nationalmuseum in Athen kommt ein AICON SmartScan mit zwei Farbkameras (2 x 5 Megapixel) zum Einsatz. Die Kombination des Scanners mit einem Drehteller ermöglicht das schnelle, berührungslose Erfassen der Tafeln in verschiedenen Positionen ohne Eingreifen des Nutzers. Damit wird die Gefahr von Beschädigungen minimiert. Die Datenerfassung sowie der Arbeitsablauf lassen sich zusätzlich beschleunigen, indem man die Option „Scannen mit Voransicht“ wählt, so dass die AICON Scansoftware OptoCat im Hintergrund die Daten in voller Auflösung berechnet.
Das Projektteam arbeitet mit der Streifenlichttechnologie, um neben den hochauflösenden Oberflächendaten auch die Objektfarbe erfassen zu können. Mit dem AICON Scanner erhält man eine hohe Datenqualität obwohl er im Vergleich zu vielen Laserscannern keine zeitaufwändige Nachbearbeitung zur Darstellung der fertiggestellten 3D Daten benötigt. Durch das berührungslose Erfassen wird der physischen Kontakt mit dem Objekt während des Scanvorgangs vermieden. Im Vergleich zu Laserscannern sind die Streifenlichtmessungen präziser, da diese Scanmethode die Anzahl der Oberflächenfehler reduziert. Somit verringert sich auch der Aufwand für Datenbereinigung und Registrierung in der Nacharbeitung.
Arbeitsablauf
Um die große Anzahl empfindlicher Tafeln möglichst schonend und zügig zu bearbeiten, werden mehrere Keilschriften gleichzeitig gescannt. Durchschnittlich ein bis vier Tafeln pro Scanvorgang werden mit dem AICON SmartScan in optimaler Datenqualität erfasst. Da sich das Labor zur Nachbearbeitung der Scandaten weit entfernt von den originalen Keilschriften befindet, ist eine präzise, zeitlich effiziente Datenerfassung im ersten Anlauf für das Projekt besonders wichtig. Jede Tafel wird aus sechs bis acht Richtungen von vorne und hinten gescannt. Anschließend fügt OptoCat die Vorder- und Rückansichten mit einem RMS (Root Mean Square) Fehler von weniger als 10 µm automatisch zusammen.
OptoCat kommt auch beim Nachbearbeiten der Daten zum Einsatz: Die Software führt die Scandaten zusammen, richtet sie zueinander aus, erkennt Überschneidungen durch Mehrfachaufnahmen, löscht Duplikate nach Qualitätskriterien und bildet so ein digitales Modell. Darüber hinaus ermöglicht die Software OptoCat schnelles und dennoch genaues Nachbearbeiten inklusive Datenreduktion und Komprimierung, Löcherfüllen und Texture Mapping. Alle Daten lassen sich als STL, PLY, OBJ sowie in weiteren Formaten abspeichern.
Das Texture Mapping lässt sich sowohl mit den internen Bildern des Scansensors als auch mit Aufnahmen einer beliebigen externen Kamera durchführen. Der automatisch ablaufende Texture Mapping-Prozess in OptoCat überträgt die internen Farbbilder des Scanners direkt auf das Messobjekt. Selbst die Sensordaten von früheren OptoCat-Projekten lassen sich mit diesem speziellen Softwaremodul zur hochaufgelösten Texturübertragung verwenden. Bei externen Fotografien setzt der Benutzer zuerst manuelle Ankerpunkte, bevor er den automatischen Optimierungs- und Ausrichtungsprozess startet. Die Auflösung der Textur ist unabhängig von den 3D Objektdaten, wodurch sich eine reduzierte Punktewolke mit einer hochauflösenden Textur erstellen lässt.
Ergebnis
Mit dem Erfassen dieser archäologischen Daten lassen sich unsere Verbindungen zu vergangenen Völkern und Kulturen erhalten, die andernfalls verloren gingen. Der AICON SmartScan ermöglicht dabei berührungsloses Scannen im Erfassungsprozess sowie dreidimensionale Objekte als Resultate, die sich anstelle des originalen Artefakts untersuchen lassen. Die Nachbearbeitung der Daten teilt sich in zwei unterschiedliche, einfache Arbeitsschritte auf, die sowohl präzise Oberflächenmerkmale als auch die Texturen der Keilschriften als Ergebnis liefern.
Das Projekt zeigt, dass der AICON SmartScan auch unter schwierigen Messbedingungen arbeitet und ausgezeichnete, verlässliche Oberflächendaten generiert. Die Genauigkeit des Scanners erlaubt Wissenschaftlern, die Linearschrift B-Tafeln zu untersuchen, zu interpretieren und Schlussfolgerungen zu ziehen, ohne den Zustand der Originale zu beeinträchtigen.
Viele Keilschriften wurden beim Brand und in den Jahrhunderten danach beschädigt; spezialisierte Archäologen haben die Sammlung aufgebaut und fügen ihre Einzelteile wieder zusammen. Dabei erfasst der Scanner die Oberflächenmerkmale der Tafeln in solcher Auflösung und Genauigkeit, dass die Wissenschaftler die Bruchstellen identifizieren und Scherben wieder zusammensetzen können. Die Software-Option zum Ein- und Ausschalten von Farbtexturen sowie die Simulation verschiedener Beleuchtungen im Datenviewer erlaubt den Wissenschaftlern eingehende Studien der Linear B-Silbenschrift.
Wir bedanken uns bei Jami Baxley und Ben Rennison für ihre Texte und Bilder zu diesem Bericht.